Finanz und Wirtschaft
16.12.2022

Freiheit oder Technokratie?

Dass Demokratie perfekt oder der Weisheit letzter Schluss sei, behauptet niemand. Eher würde gesagt, dass Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen sei, abgesehen von denen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert würden. Und dennoch habe sie sich bislang als die beste Form für gemeinschaftliches Zusammenleben erwiesen, äusserte sich Winston Churchill in einer Rede vor dem britischen Unterhaus im November 1947, nachdem der Zweite Weltkrieg und der Schrecken der NS-Herrschaft zu Ende gegangen waren.

Die westliche Welt sieht Demokratie als Garantin für die Freiheit und Selbstbestimmung des Volkes. Freiheit und Selbstbestimmung bilden zentrale Grundwerte und die Demokratie das geeignete Instrument, um sie leben und erhalten zu können. So wird Demokratie als Herrschaftsform anerkannt, ohne ihre Entwicklung zu hinterfragen. Ein Trugschluss. Denn Demokratie braucht Wachsamkeit und gelegentliche Korrektive, damit sie langfristig Bestand haben kann und ihre Errungenschaften sich verteidigen lassen. Churchill erkannte die Tücken und mahnte vor Blauäugigkeit.

Vor rund zweihundert Jahren analysierte Alexis de Tocqueville die amerikanische Demokratie, die Vorbild für die Entwicklung europäischer Demokratien war. Er lobte den Gedanken, allen Bürgern ein Leben in Freiheit, Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit zu ermöglichen, und das Ansinnen, dies über eine ausgewogene Gewaltenteilung sicherzustellen. De Tocqueville sah aber auch die Gefahren, die langfristig aus einer Demokratie resultieren können, und warnte davor: einem Streben nach Gleichheit, einer Diktatur der Mittelmässigkeit, einem lähmenden Wohlfahrtsstaat.

Europa ist heute auf diesem Weg. Vom europäischen Wohlfahrtssystem, das sich wie die Made im Speck etabliert hat, bis hin zu einem unersättlichen Umverteilungsstreben, das sich unter dem Deckmantel von «Gleichheit und Gerechtigkeit» tarnt. Kaum wahrnehmbar entfernen sich Europas Staaten von einem freiheitlichen Demokratiesystem und verrennen sich in eine demokratisch anmutende Technokratie mit Hang zur Mittelmässigkeit.

Eine sich schleichend entwickelnde autoritäre Technokratie ist genauso gefährlich wie die Systeme, die wir, die westliche Welt, anprangern. Es gibt autoritäre Systeme, etwa die Republik Singapur, die die Rechte und die Freiheiten des Einzelnen besser schützen als manch europäische «Demokraten», die bürgerliches Mit- und Selbstbestimmungsrecht in kleinen Schritten durch staatliche Kontrolle und Bevormundung ersetzen. Das geschieht nicht allein durch die Europäische Union, sondern auch durch Verwaltungen und Regierungen der Nationalstaaten, die Brüssel und andere Institutionen – die keine demokratische Rechenschaftspflicht haben – als ihre Erfüllungsgehilfen einspannen.

Als Beispiel die Harmonisierung der europäischen Sozialsysteme: Sie suggeriert eine Illusion sozialer Sicherheit für Arbeitnehmer in Staaten wie Rumänien, Polen oder der Slowakei. De facto aber ruiniert sie ihre Existenzbasis, weil damit das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern gelähmt wird, mit entsprechendem Rückkopplungseffekt auf Länder wie Deutschland oder Frankreich. Auch die Vorratsdatenspeicherung ist ein Beispiel, wie die bürgerliche Selbstbestimmung schrittweise von Kontrolle und Bevormundung zersetzt wird. Die Politik argumentierte für Vorratsdatenspeicherung als Mechanismus zur Aufklärung von schweren Straftaten, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entlarvte sie jedoch als Instrument zur Kontrolle der Bürger und verwies darauf, dass sie der europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht.

Ungehört dessen erheben und speichern europäische Nationalstaaten persönliche Daten. Die Europäische Zentralbank (EZB) wiederum zeigt, dass eine Institution, die gemäss Auftrag unabhängig von der Politik agieren müsste, mit ihrer Geldpolitik die staatliche Ausgabenpolitik befördert, zum Nachteil von Bürgern und Sparern. Relevante Akteure scheinen allzu oft zu vergessen, welche Auswirkungen ihr Geschäftsgebaren auf das Volk hat, in dessen Interesse sie eigentlich handeln sollten.

Europa muss sich verstärkt auf seine Vielfalt und seine Grundfreiheiten besinnen, die Subsidiarität stärken und den innereuropäischen Wettbewerb fördern, wenn es geeint und schlagkräftig werden will. Damit das westliche Demokratieverständnis langfristig wirken und überleben kann, braucht es heute mehr denn je eine Rückkehr zu Dezentralisierung, freier Marktwirtschaft, einem freien Unternehmertum, einem freien Wettbewerb und dem Subsidiaritätsprinzip sowie eine unbedingte Unabhängigkeit von Justiz und EZB von der Politik. Überregulierung, Bürokratisierung oder Harmonisierung sind schädlich, schalten regionale Selbstbestimmung, individuelle Freiheit und persönliche Eigenverantwortung aus. Es gibt viele Beispiele, wovon die Schweiz wohl das beste ist, die mit ihrem Föderalismus beweisen, dass Demokratie in kleineren Einheiten besser funktioniert und die Rechenschaftspflicht stärker vorhanden ist, wenn sich die Politik nah am Bürger bewegen muss.

Politische Akteure dürfen nicht aufgrund negativer Einzelfälle in Wirtschaft oder Gesellschaft in eine Haltung verfallen, die eine «alternativlose» Verbots-, Kontroll- und Regulierungskultur fördert. Damit werden negative Einzelfälle in der Zukunft nicht verhindert, vielmehr werden unbescholtene Bürger dafür in Geiselhaft genommen, und das demokratische Mitwirkungs- und Kontrollrecht wird geschwächt. Auch darf es nicht sein, dass Institutionen, die kaum demokratische Rechenschaftspflicht haben, wie etwa die EZB, über ihre Geschäftspolitik gegen die eigene Aufgabe handeln.

Eine freiheitliche Demokratie bedeutet, das Ohr beim Volk zu haben, sich nicht von lauten Minderheiten instrumentalisieren oder von Einzelfällen ins Bockshorn jagen zu lassen, den Staatsapparat schlank und beweglich zu halten und den Bürgern zuzutrauen, dass sie ihr Leben eigenverantwortlich gestalten können und fähig sind, ihre Rechte und Pflichten auszuüben. Das bedingt, dass sich staatliche Institutionen und supranationale Organisationen als Dienstleister der Bürger verstehen und nicht als deren Überwacher. Technokratie verlangt vom Bürger eine allumfassende Rechenschaftspflicht gegenüber dem Staat und hebelt Privatsphäre und Grundrechte aus.

Die eigene Rechenschaftspflicht gegenüber dem Bürger vergisst sie. Warum ein Staat als Monopolunternehmen nicht nur ein ineffizientes Unternehmen ist, sondern vielmehr eine Gefahr für die Menschheit darstellt, lässt sich im Buch «Der Staat im dritten Jahrtausend» von Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein nachlesen. Die eigentliche Form einer Demokratie entspräche dem Grundgedanken, Bürger vor Übergriffen – insbesondere von staatlicher Seite – zu schützen, ihre Grundrechte zu garantieren sowie ein friedvolles Miteinander in Freiheit zu ermöglichen.

Das europäische Demokratieverständnis steht an einem Scheideweg. Interessanterweise stellen die entscheidenden Vertreter sogenannter liberaler Demokratien ihr System als die beste Herrschaftsform dar, zeigen aber die grösste Mühe darin, über bürgerliche Freiheiten zu sprechen und sie zu fördern. Wenn sie über Bürger sprechen, dann mehrheitlich über deren Pflichten. Zu guter Letzt gilt es sich ins Bewusstsein zu rufen, dass Technokraten sich primär als Diener des Verwaltungssystems verstehen und weniger als Bürger, die sich dem Dienst gegenüber ihren freien Mitbürgern verschrieben haben.

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