Finanz und Wirtschaft
10.06.2020

Rückbesinnen statt Geld drucken

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Verhältnismässigkeit des bisherigen Anleihenkaufprogramms der Europäischen Zentralbank (EZB) angezweifelt. Die EZB kontert, indem sie argumentiert, dass sie sich mit Blick auf die Coronakrise auch weiterhin zu einer akkomodierten Geldpolitik gezwungen sehe, und dabei festhält, dass alle nationalen Zentralbanken sich an ihrer Geldpolitik auszurichten hätten. Damit nimmt sie die deutsche Bundesbank in die Pflicht, der mit dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts aber mitunter untersagt werden kann, weiter am Anleihenkaufprogramm der EZB teilzunehmen. Was das Ganze für die Europäische Union bedeutet, analysiert S.D. Prinz Michael von und zu Liechtenstein in einem Beitrag, der in der Schweizer Wirtschaftszeitung Finanz und Wirtschaft www.fuw.ch erschienen ist.

Nicht das weitere Anhäufen von Schuldenbergen ist die Antwort auf die Krise der Europäischen Union. Vielmehr muss sie sich an die ursprünglichen Ideen halten, namentlich an die des Binnenmarktes. MICHAEL VON LIECHTENSTEIN

Wie der Rest der Welt, befindet sich die Europäische Union im Krisenmodus. Die Folgen von Covid-19 sind eine Herausforderung für alle. Die Zeit wäre aber richtig, um die seit langem aufgeschobenen strukturellen Veränderungen in Politik und Wirtschaft vorzunehmen. Doch es ist leichter, die Geldschleusen zu öffnen und die Union mit Geld zu fluten. Es fragt sich nur, wohin es effektiv fliessen wird. Doch beginnen wir von vorn.

Nachdem der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sich vor rund drei Wochen auf einen Wiederaufbaufonds von rund 500 Mrd. € einigten, ist die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, auf den Plan getreten. Im Geist der Solidarität und der Verantwortung hat sie in verschiedenen Interviews die Position vertreten, dass sich die EZB aufgrund der derzeitigen Coronakrise zu einer akkommodierenden Geldpolitik gezwungen sehe und alle nationalen Zentralbanken sich an dieser Geldpolitik auszurichten hätten. Das war ein Seitenhieb gegen das frisch gefällte Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts, in dem die Verhältnismässigkeit des bisherigen Anleihenkaufprogramms der EZB angezweifelt wird und mit dem der Bundesbank und der Bundesregierung untersagt werden kann, weiter daran teilzunehmen.

Die Bedingung ist, dass die EZB die Verhältnismässigkeit ihrer Massnahmen darstellen kann. Das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zeigt unter anderem auf, dass die EZB längst nicht mehr unabhängig agiert, sondern vielmehr im Modus der EU Politik. Interessant werden die Reaktion der Bundesregierung sowie die folgende Debatte sein.

Der Euro – ein politisches Projekt

Die gegenwärtige Krise trifft auf bereits durch Überschuldung und Überregulierung geschwächte Volkswirtschaften und verschärft die seit fast einem Jahrzehnt fehlgeleitete, opportunistische Geldpolitik. Dennoch flutet die EZB die Eurozone mit weiteren Milliarden und riskiert damit einen vehementen Wertzerfall des Euros in der Zukunft. Denn je grösser die Schuldenlast der Eurozone wird, desto geringer wird die Attraktivität ihrer Währung sein. Glaubt die EZB wirklich, mit den geldpolitischen Manövern langfristig die Schuldenproblematik der Union und die wirtschaftlichen Schwächen lösen und die Preisstabilität des Euros sichern zu können? Und wozu dient das ganze Geld?

Die kleinen und mittelständischen Unternehmen benötigen diese Unsummen nur teilweise, und vieles von dem Geld wird gar nicht dort ankommen. Der grösste Teil des Geldes fliesst an diejenigen Staaten, die in den vergangenen Jahren übertrieben Schulden gemacht haben, angeleitet von den niedrigen Zinsen im Eurobereich. In den Interviews hat Christine Lagarde auch betont, dass der Euro unwiderruflich sei, und sich damit des Mantras von Kanzlerin Merkel bedient: «Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa.» In weiterer Folge hat sie sich dafür ausgesprochen, dass die Krise dazu genutzt werden solle, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu «modernisieren» und seine Bedingungen zu vereinfachen. Hier gibt es eine frappante Ähnlichkeit zu einem Moment zu Beginn des neuen Jahrtausends, in dem Alt-Bundeskanzler Schröder und der damalige französische Staatspräsident Chirac die Bedingungen des Stabilitätspakts in Frage gestellt und sich schliesslich darüber hinweggesetzt hatten.

Das bedeutet, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht nur in der Vergangenheit keine verbindliche Wirkung hatte, sondern sie auch in Zukunft kaum haben wird. In einem funktionierenden Rechtsstaat jedoch sollte die Verbindlichkeit respektiert werden. Solange dem nicht so ist, ist und bleibt der Euro ein politisches Projekt. Wenn nun grundsätzlich, in der Realität leider aber nur theoretisch unabhängige Institutionen wie die EZB sowohl das Wirtschaftssystem als auch das Währungssystem immer wieder zugunsten von Regierungen manipulieren, dann steht der Euro als stabile Währung zur Disposition.

Die EU gibt sich als eine Gemeinschaft, die auf Werten und Rechtsstaatlichkeit baut. Gleichzeitig aber führt sie dies ad absurdum. Wären beispielsweise die Konvergenzkriterien von Anbeginn an von allen Mitgliedstaaten verbindlich respektiert worden, wäre der Euro heute eine stärkere Währung, und der Zusammenhalt unter den Mitgliedländern wäre grösser. Auch der Umgang mit dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts verdeutlicht, dass die Rechtsstaatlichkeit je nach Situation leider ein interpretierbarer Begriff ist. Mit ihrer Geldpolitik nimmt die EZB die deutsche Bundesbank in die Pflicht. Die steckt nun im Dilemma, wem sie Folge leisten soll.

Die EU-Politik wiederum wirft dem Bundesverfassungsgericht erzürnt Kompetenzüberschreitung vor und fordert Massnahmen gegen Deutschland. Auf EU-Ebene wird ein politisches Spiel auf Kosten der Bürger gespielt. Die Einzigen, die von der Geldschwemme wirklich profitieren werden, sind die Regierungen. Ihnen wird der Druck zu einer stärkeren Budgetdisziplin genommen. Anstelle von Budgetdisziplin wird schon seit Jahren eine Kultur des Schuldenmachens gefördert, auf allen Ebenen, mit fatalen Auswirkungen für mehrere Generationen.

Gerade in der jetzige Situation könnte und sollte sich die Politik auf die ursprüngliche Idee der EU besinnen: gemeinsamer Binnenmarkt, Subsidiarität, regionaler Wettbewerb und das Aufrechterhalten der vier Grundfreiheiten. Nach den Einschränkungen der vergangenen Monate sind Unternehmertum, Wettbewerb und der freie Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der EU-Aussengrenzen die zentralen Schlüssel, um den Wirtschaftsmotor wieder zum Laufen zu bringen und die Gesellschaft zu unterstützen. Auch ist jetzt der Moment, um bürokratische Hürden abzubauen und eine für den Bürger komplexe Gesetzgebung zu vereinfachen. Erstmals hat in Deutschland der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) energisch dazu aufgefordert, das Regulierungsdickicht zu reduzieren und zu straffen.

Mitgliedstaaten in der Verantwortung

Die Schuld an der Überregulierung wird gerne der Union zugeschoben. Doch man darf nicht vergessen, dass die Mitgliedstaaten selbst überreguliert sind und die Union im Grundsatz nur mit dem Konsens aller nationalen Regierungen handeln kann. Es wäre also unfair, Brüssel zum Sündenbock zu machen. Leider tendieren nationale Regierungen dazu, die «heisse Kartoffel» auf EU-Ebene zu schieben und sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen. Auch die Aussage, dass die EU im Zuge der Coronakrise versagt habe, ist nicht ganz richtig – das Gesundheitswesen liegt in der Kompetenz der Mitgliedstaaten.

Wo die EU allerdings versagt hat, ist dort, wo Binnenmarktregeln gebrochen worden sind. Beispielsweise hat Deutschland die Lieferung medizinischer Güter und solcher zur Vorbeugung nach Österreich und Italien blockiert. Hier hätte die EU einschreiten müssen. Welche Reaktion hätte es wohl gegeben, wenn etwa Ungarn solche Lieferungen blockiert hätte? Es sind solche Vorkommnisse, die der Europäischen Union schaden. Nicht das Anhäufen eines untragbaren Schuldenbergs ist die Antwort auf die Krise, sondern die Rückbesinnung auf die weiter oben skizzierten Urgedanken der EU. Darin liegt der Schlüssel für ihre solide Zukunft.

Gelddrucken ist nur eine kurzfristige Option und löst die Probleme nicht. Vielmehr dreht sich die Schuldenspirale weiter, und der Preis, der dafür in absehbarer Zukunft bezahlt werden muss, wird bitter sein.

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