
Deutschland bietet ein Beispiel, wie mit Ideologie und Narrativen das Potenzial eines Landes verspielt wird und die Wähler zu Protestparteien getrieben werden. Doch es ist noch nicht zu spät.
Beitrag S.D. Prinz Michael von und zu Liechtenstein . Finanz und Wirtschaft . Ausgabe 29.01.2025
«Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.» Mit diesem Zitat erinnerte der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl 1995 an Ereignisse der nationalsozialistischen und kommunistischen Vergangenheit. Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) hatten wieder zusammengefunden und sich von den spaltenden Fesseln des Kommunismus gelöst.
Die Ideologie von Gleichheit, klassenloser Wohlfahrt und einem «demokratisch» legitimierten Zentralismus, mit welcher das kommunistische System die nationalsozialistische Ideologie ausmerzen wollte, war gescheitert. Die DDR hatte gezeigt, dass eine ideologisch gesteuerte Gesellschaft in ein fremdbestimmtes Leben führt, in dem eine Kaste von Funktionären Macht und Kontrolle über die Bürger ausübt. Ideologisch geleitete Menschen ändern ihre Meinung nicht, auch wenn die Realität noch so sehr das Gegenteil beweist. Ideologien bauen auf starren Denkmustern, die den Blickwinkel verengen. Alles, was dem zuwiderläuft, wird als Bedrohung taxiert.
Menschen lassen sich von ideologischen Vorstellungen blenden, weil sie die vermeintliche Realität pointiert erklären und vereinfachte Lösungen für Ängste, Befindlichkeiten, Erwartungen etc. propagieren. Ideologien weisen der breiten Masse einen Weg und entziehen ihr die Verantwortung, Dinge selbst zu hinterfragen und Entscheidungen zu treffen. Der kommunistischen Ideologie (das Kollektiv) lag das Narrativ zugrunde, ein Gesellschaftssystem zu etablieren, in dem alle gleichwertig am Leben teilhaben und an allem gleichberechtigten Anspruch haben sollten. Im Ergebnis hatte die Bevölkerung ihr Leben nach dem Gutdünken einer Parteispitze zu gestalten, Kritik wurde abgestraft.
Rückschritt statt Fortschritt
Kohls Zitat verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Geschichte zu kennen, um zu verstehen, wie sich Gesellschaften entwickeln können. Der Blick auf vergangene Ereignisse zeigt, was es für eine prosperierende Gesellschaft braucht: Eigenverantwortung, gesunden Menschenverstand und Pragmatismus, um gesellschaftlichen Hypes und Strömungen begegnen zu können. Das Aus der deutschen Ampelkoalition veranschaulicht, wohin es führen kann, wenn dies negiert wird und Ideologien und Narrative die Politik bestimmen.
Unter der Ära Merkel büsste Deutschland wesentlich an Führungsstärke und Wettbewerbsfähigkeit ein. Das Griechenland-Debakel mit dem Euro-Rettungsschirm verschärfte das Nord-Süd-Gefälle. Der Anspruch nach einer Energiewende verkam zu einer teuren Energiekrise. Die Willkommenspolitik lockte Millionen von Migranten nach Deutschland und stellt das Land sozial wie auch wirtschaftlich vor grosse Herausforderungen.
Es waren populistisch motivierte Manöver, um eigene Positionen zu stärken und sich die Wählergunst links der Mitte zu sichern. Anstatt gegenzusteuern, hat die Ampelkoalition dieses Vermächtnis akzentuiert, wodurch die deutsche Wirtschaft und der gesellschaftliche Zusammenhalt kollabieren. Die Ampelkoalition wollte mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Nachhaltigkeit für alle. Die Klimakrise sollte bekämpft werden, der deutsche Industriestandort zu alter Stärke zurückfinden und das Leben wieder einfacher und bezahlbarer werden. Stattdessen hielt keines der Ziele. Der Grundsatz, mit Wokeness und Zeitgeist wichtige Faktoren wie Leistung, Fleiss und Kreativität zu ersetzen, kann nicht wirken.
Im Zug der Russlandinvasion in der Ukraine 2022 wandte sich Bundeskanzler Scholz mit dem Narrativ der «Zeitenwende» an die Bevölkerung. Mit einer Argumentationskette aus deutscher Solidarität, stärkeren Verteidigungsanstrengungen und der Bedeutung der deutschen Bundeswehr verkaufte er der Bevölkerung die Notwendigkeit eines Sondervermögens von rund 100 Mrd. €. Allerdings geschah fast nichts. Das anfangs heroisch propagierte Koalitionsprogramm geriet ins Abseits. Anstatt drängende Themen wie Wirtschaft, Migration, Deutschlands Aussenpolitik und die Stärkung des deutschen Unternehmertums in Angriff zu nehmen, verzettelte sich die Ampelkoalition in Parteigeplänkel und utopischen Zukunftsversprechungen, die als alternativlos dargestellt wurden und zulasten aller gingen, insbesondere des Mittelstands.
Die Ampelkoalition war ein politisches Arrangement, das fernab der Realität agierte und stark von linksgerichteten Ideologien bestimmt wurde. Deutsches Unternehmertum wurde gegängelt, wichtige Ministerien mit Personen besetzt, die den Aufgaben nicht gewachsen waren. Dem liberaldemokratischen Koalitionspartner gelang es nicht, eine vernünftigere Wirtschafts-und Steuerpolitik durchzusetzen. Finanzminister Christian Lindner schlug ein fundiertes, sinnvolles Finanz-und Wirtschaftsprogramm vor. Es hätte jedoch eine Abkehr von den ideologischen Plänen der Sozialdemokraten und Grünen bedeutet. Scholz reagierte, indem er Lindner entliess und das Ende der Ampelkoalition besiegelte. Danach folgten Schuldzuweisungen und der Versuch, die Liberaldemokraten zum Sündenbock zu machen.
Die vorgezogenen Neuwahlen werden zeigen, wie die Bevölkerung dieses parteipolitische Gerangel billigen wird. Ein verstärkter Zulauf zu Protestparteien dürfte nicht verwundern und es wäre unklug, den diesbezüglichen Wählerwunsch zu ignorieren. Ein Grundsatzproblem nicht nur in Deutschland ist, dass politische Gruppierungen ihre originäre Identität und ihren Fokus verloren haben. Sozialdemokraten vertreten nicht mehr die arbeitende Bevölkerung, sondern im Wesentlichen jene, die nicht arbeiten wollen. Christlich geprägte Volksparteien repräsentieren weniger eine breite konservativ-bürgerliche Mittelschicht und versuchen vermehrt, Wähler des linken Politspektrums zu gewinnen. Ähnlich geht es den liberalen Parteien. In Folge ist die Mehrheit der Bevölkerung politisch heimatlos, ein idealer Nährboden für Protestparteien.
Aus der Geschichte lernen
Koalitionsparteien tendieren dazu, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen und alles, was sich ihrem Denkmuster widersetzt, als «radikal» auszugrenzen. Das befeuert eine irrationale Politik. Es geht nicht mehr um Bürgerinteressen, sondern um den Erhalt von Machtpositionen. Ursprüngliche Werte, mit denen sich Freiheit und Wohlstand etablieren liessen, werden marginalisiert. Politik sollte dem langfristigen Interesse bestehender und zukünftiger Generationen dienen. Das bedingt Mut, Strömungen und Hypes zu widerstehen, die kurzfristig Wählerstimmen einbringen; für originäre Werte einzustehen; in den Dialog zu treten, statt auszugrenzen; zu eigenen Entscheidungen zu stehen.
Ideologien verfestigen Meinungen zu Glaubensfragen und behindern eine realitätsnahe Politik. Eine 2023 veröffentlichte Studie des Mercator Forums Migration und Demokratie (MIDEM) der Technischen Universität Dresden zum Thema «Polarisierung in Deutschland und Europa» kam zum Ergebnis, dass Bevölkerungsgruppen, die sich politisch dem linken, grünen oder ökologischen Spektrum zuordnen, deutlich stärker polarisiert und intoleranter gegenüber abweichenden Meinungen sind. Polarisierende, moralisierende Narrative spielen dabei eine zentrale Rolle. Doch wie die Geschichte zeigt, funktionieren Ideologien nicht. Es wäre wichtig, aus der Geschichte zu lernen, um politische Entscheidungen mit Pragmatismus und gesundem Menschenverstand zu fällen und die Bedeutung der Privatwirtschaft für das Gesamtwohl zu verstehen.