Finanz und Wirtschaft
25.07.2023

Afrika, der unterschätzte Partner

Das Risikomanagement hat in Unternehmen einen immer grösseren Stellenwert. Es ermöglicht, allfällige Betriebs-, Markt- oder Compliance-Risiken frühzeitig zu evaluieren und sich entsprechend auszurichten. Heute haben nahezu alle Unternehmen einen oder mehrere Chief Risk Officers und fahren eine Risikostrategie. Die Krux ist, dass ob all der Risikoevaluation die Gefahr besteht, dass der Blick für mögliche Opportunitäten und ein Chancenmanagement zu kurz kommen. Das ist problematisch für eine langfristig erfolgreiche Unternehmensentwicklung.

Im politischen Umfeld werden langfristige Opportunitäten und Risiken im Wesentlichen ignoriert, das Management des Tagesgeschäfts hat oberste Priorität. Der Fokus ist stark selbstbezogen. Die Frage dominiert, welche «Marktanteile» anderer Parteien wie gewonnen werden können. Politik und Staat werden zu einem Selbstzweck und versuchen, ihn mit sogenannten Werten zu legitimieren. Ein Beispiel ist das EU-Lieferkettengesetz, für dessen Verschärfung sich Anfang Juni die Mehrheit der EU-Parlamentarier ausgesprochen hat. Damit sollen Unternehmen in Zukunft verpflichtet werden, die sozialen und die ökologischen Wechselwirkungen entlang ihrer Lieferketten zu evaluieren und entsprechende Prozesse fairer, nachhaltiger und verantwortungsvoller auszugestalten.

Das dahinterstehende Anliegen, in der EU nurmehr noch Unternehmen zu beheimaten, die Menschenrechte schützen und die Umwelt nicht schädigen, ist ein notwendiges Ziel. Es findet aber eine Überbürokratisierung statt mit einem unrealistischen Anspruch. In der Konsequenz kann wegen dieses Gesetzes mit gewissen Weltregionen weder Handel betrieben noch investiert werden. Der daraus resultierende Schaden für Entwicklungsländer übersteigt den Nutzen der Regulierung. Natürlich soll kein Unternehmen Teil von Korruption, ausbeuterischer Kinderarbeit etc. sein. Aber der Gesetzgeber muss sich auch bewusst sein, dass sich nicht alles und jeder kontrollieren lässt. Die etwas pharisäisch anmutenden Moralvorstellungen hinter dem Lieferkettengesetz werden verhindern, dass europäische Unternehmen notwendige Aktivitäten setzen.

Es brauchte die Geschehnisse rund um Russland und die Ukraine sowie die Verringerung der Abhängigkeit von China, damit Europas Politik ein gestärktes wirtschaftliches Interesse an möglichen anderen Partnerstaaten zu zeigen glaubt. Es richtet den Blick gen Lateinamerika, Südasien und Afrika, ohne sich jedoch darum zu bemühen, diese Regionen zu verstehen. Interessanterweise wird Afrika bislang überwiegend dann von europäischer Politik, den Medien und der Öffentlichkeit wahrgenommen, wenn es um Migrationsströme, Hungersnöte, Bürgerkriege oder autoritäre Staatsführung und Korruption geht. Oder wenn Lösungen in Form von Geldleistungen an die Entwicklungshilfe gesucht werden, um mit einem guten Gewissen diesem Kontinent gegenüberzustehen.

Ein grosser Teil der Gelder versandet jedoch, weil das Verständnis für wirkliche Notwendigkeiten fehlt. Nötig wäre die Entwicklung der Wirtschaft und einer zukunftsführenden Infrastruktur. Es ist aber nicht die Rolle der westlichen Welt, Afrika oder anderen Regionen die eigenen Governance-Systeme aufzudrücken.

Afrika ist reich an fruchtbarer Landwirtschaft, beherbergt eine Vielfalt an Bodenschätzen und hat eine überwiegend junge, aufstrebende Bevölkerung. Die demografische Struktur Afrikas bietet ein enormes Potenzial. Schätzungen zufolge soll allein die Bevölkerung südlich der Sahara bis zum Jahr 2050 auf rund 2,5 Mrd. Menschen steigen. Das Bevölkerungswachstum in Afrika sollte weniger als Problem – wie dies etwa bei der Eröffnung des Afrika-Gipfels im November 2019 bezeichnet wurde – gesehen, sondern vielmehr als Chance für Afrika und seine Partnerstaaten wahrgenommen werden.

Auch zeigt sich Afrika fortschrittlich im technologischen Bereich. Smart Africa beispielsweise ist eine Allianz aus 36 afrikanischen Staaten mit dem Ziel, den Zugang in den afrikanischen Regionen zu Informations- und Kommunikationstechnologien zu fördern und einen grenzenlosen digitalen Binnenmarkt zu etablieren. Dadurch sollen gewinnbringende Partnerschaften aufgebaut, neue Wertschöpfungsketten generiert, regionales Unternehmertum gefördert und eine technologische Wissensökonomie entwickelt werden.

Die Idee, einen afrikanischen Binnenmarkt zu schaffen und Handelsbeschränkungen aufzulösen, ist sehr positiv zu sehen. Es würde nicht nur den Handel erleichtern, sondern auch eine wesentliche Grundlage der Korruption entfernen. Jetzt wäre für Europa die Zeit richtig, um Handelseinschränkungen aufzuheben und den starken Protektionismus besonders im nicht-tarifären Bereich zu lockern. Jedoch müsste sich das politische Verständnis in Europa für diesen Kontinent verändern. Es wäre wichtig, zu erkennen, dass Afrika eine auffallend grosse Vielfalt hat und Afrika nicht einfach «Afrika» ist. Die regionalen Unterschiede sind teilweise wesentlich grösser als in Europa.

Die Meinung, dass nur das Demokratieverständnis einem Autokratieverständnis gegenübersteht, ist nicht tragfähig. Es gibt auch andere Formen von Governance, und es ist wichtig, dass eine staatliche Governance den Gegebenheiten einer Region und ihrer Bevölkerung dient. Afrika ist aus verschiedenen Gründen komplex und stark diversifiziert. Die bestehenden Staaten sind künstlich, da die Grenzen einst in Europa gezogen wurden. Die meisten afrikanischen Staaten sind multiethnisch, die Grenzen aber gehen quer durch ethnische Gebiete. In Umkehr aller geografischen und ethnischen Logik wird häufig der afrikanische Tribalismus als Bedrohung für eine Staatenbildung und Demokratie angesehen. Dabei bieten die ethnischen Zusammenhänge die stabilsten Systeme Afrikas. Ohne Einbezug solcher Gegebenheiten wird es nicht möglich sein, effiziente Systeme zu gestalten.

China hat das Potenzial Afrikas schon vor längerem entdeckt, investiert kräftig in Infrastruktur- und Rohstoffprojekte und gewährt grosszügige Milliardenkredite, um Afrikas Wirtschaft zu fördern. Es ist bislang unbestritten der grösste und wichtigste Handelspartner Afrikas und profitiert auf vielfältige Weise von seinem Engagement. Der Westen reagiert mit Fingerzeig und verweist auf die mangelhafte Governance Afrikas, versäumt es aber gleichzeitig, selbst aktiv zu werden. Statt Chancen zu erkennen, die der afrikanische Kontinent aufgrund seiner Vielfalt und seines Bevölkerungsreichtums mit etlichen gut ausgebildeten Menschen bietet, verharrt der Westen bzw. Europa im Risikomodus. Der Bevölkerungsreichtum und die kulturelle Identität werden stärker als Gefahren denn als Opportunitäten gesehen.

Der Moralismus in Europa verhindert, dass europäische Unternehmen notwendige Tätigkeiten und Investitionen in Afrika setzen. Dies wäre aber die beste Chance für Afrika – und auch Europa. Auch sollte die europäische Politik weniger darauf drängen, das eigene Werteverständnis in Afrika durchzusetzen, und eher versuchen, einen Investitionsschutz zu erreichen. Mitunter mag dies unethisch klingen, aber nur über eine gute Wirtschaftsstruktur und die Respektierung der afrikanischen Lebensweise kann sich die Situation in Afrika verbessern und der für Europa so wichtige Kontinent sich zu einem Partner entwickeln. Dies wird bislang stark unterschätzt.

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