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02.11.2023

Liechtenstein, der EWR und die Schweiz

Vor bald dreissig Jahren wurde Liechtenstein Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Eine Mitgliedschaft, die oft als Erfolgsmodell bezeichnet wird und heute unbestritten als ein wegweisender Schritt zur Wirtschaftsentwicklung Liechtensteins anerkannt ist. Auch mit der Schweiz unterhält Liechtenstein einen gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum. Diese parallele Verkehrsfähigkeit ist eine Stärke des liechtensteinischen Wirtschaftsstandorts und bietet Vorteile in vielerlei Hinsicht.

Liechtensteins Bündnis mit der EU
Im Mai 1992 wurde in Portugal das Abkommen über den EWR von den damaligen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) und Europäischen Freihandelszone (EFTA) unterzeichnet. Auch Liechtenstein und die Schweiz waren vertreten. Sinn des Abkommens war, den europäischen Binnenmarkt den EFTA-Ländern zugänglich zu machen.

Für einen effektiven EWR-Beitritt musste das Abkommen vom liechtensteinischen Volk bestätigt werden. Im Vorfeld der entsprechenden Volksabstimmung zeichnete sich ab, dass die Schweizer Bevölkerung – die vorgängig abstimmte – sich wohl gegen einen Beitritt aussprechen würde. Dieser Umstand führte im Inland zu Bedenken, weshalb insbesondere der regierende Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein sehr dafür plädierte, den Abstimmungstermin in Liechtenstein vorzuverlegen. Er sah den EWR als die beste, kleinstaatenverträgliche Form der Zusammenarbeit mit der EU. Doch der liechtensteinische Abstimmungstermin blieb wie festgelegt, und die Schweizer Bevölkerung sprach sich vorgängig erwartungsgemäss knapp mehrheitlich gegen das EWR-Abkommen aus. Wie würde das liechtensteinische Volk darauf reagieren? Auch stand die Frage im Raum, wie ein Beitritt zum EWR das 1923 abgeschlossene Wirtschafts- und Zollbündnis mit der Schweiz tangieren würde?

Am 13. Dezember 1992 begaben sich siebenundachtzig Prozent der in Liechtenstein Stimmberechtigten an die Urne. Entgegen aller Bedenken sprachen sie sich mit einer klaren Mehrheit für die Ratifizierung des EWR-Abkommens aus. Das Verständnis für die Notwendigkeit des EWR für Liechtenstein hatte gesiegt, und ein uneingeschränkter Zutritt zum europäischen Binnenmarkt war gesichert.

Wo wir heute stehen
Mit dem EWR-Abkommen hat Liechtenstein Zugang zum europäischen Binnenmarkt, unter gleichzeitiger Wahrung der Souveränität. Die Befürchtung, der EWR-Beitritt beeinflusse das Wirtschafts- und Zollbündnis mit der Schweiz – auf welches später noch eingegangen wird – hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, die parallele Verkehrsfähigkeit durch die Zugehörigkeit Liechtensteins zu nunmehr zwei Wirtschaftsräumen hat sich zu einem wichtigen Alleinstellungsmerkmal geformt und zeichnet den heimischen Wirtschaftsstandort heute positiv aus. Doch was bedeutet die EWR-Mitgliedschaft konkret? Einerseits finden die vier europäischen Grundfreiheiten auf Liechtenstein Anwendung. Liechtenstein beteiligt sich am freien Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr, was dem liechtensteinischen Industriestandort, Finanzplatz und Arbeitsmarkt umfangreiche Möglichkeiten eröffnet hat. Beispielsweise sind damit liechtensteinische Rechtsträger im gesamten europäischen Raum anzuerkennen.

Andererseits hat Liechtenstein uneingeschränkten Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit über 450 Millionen Konsumenten. Über die EWR-Mitgliedschaft ist Liechtenstein an den weltweiten Freihandels- und Assoziationsabkommen der EU beteiligt und die Rechtssicherheit im EU-Kontext ist gestärkt. Auch ermöglicht die EWR-Mitgliedschaft liechtensteinischen Unternehmen und der heimischen Bevölkerung den Zugang zu verschiedensten Förderprogrammen.

Rechtliche Perspektive
EU-Recht wird dann zu EWR-Recht, wenn eine binnenmarktrechtliche Relevanz besteht und eine Gesetzgebung bestimmend für den EWR ist. Entsprechend ist die liechtensteinische Finanzmarktregulierung wesentlich von der EWR-relevanten Finanzmarktregulierung der EU geprägt. Dies ist ein wichtiger Pfeiler für die internationale Anerkennung des heimischen Finanzplatzes. Liechtenstein übernimmt zudem die meisten Regelungen im internationalen Steuerbereich, wie beispielsweise den automatischen Informationsaustausch, was einen Bestandteil bildet, damit liechtensteinische Rechtsträger von europäischen Mitgliedsstaaten anerkannt werden und diese verstärkt für die Vermögensstrukturierung im internationalen Bereich eingesetzt werden können.

Liechtensteinische Rechtsträger wie etwa die Stiftung können in sämtlichen EU-Mitgliedsstaaten zur Strukturierung von Vermögenswerten genutzt werden und gelangen insbesondere auf dem Gebiet der Nachfolgeregelung oder einer Vermögenssicherung über Generationen zum Einsatz. Damit eröffnen sich vielseitige Möglichkeiten insbesondere für Unternehmerfamilien, mit einem sehr positiven Effekt für europäische Familienunternehmen. In Summe wirkt sich die Gesetzgebung der EU auf das EWR-Recht und damit auf das liechtensteinische Recht aus. Jedoch besteht bei der Übernahme in liechtensteinisches Recht Ausgestaltungsspielraum, solange ein solcher dem EWR-Recht nicht zuwiderläuft.

Die Zukunft des EWR
Gegenwärtige Entwicklungen werfen verständlicherweise ab und an die Frage nach einer zukünftigen Tragbarkeit des EWR auf. Positiv festzuhalten ist dabei, dass der EWR ein erprobtes Instrument für ein erfolgreiches Wirtschaftsbündnis mit der EU ist, ohne dass eine vollständige Mitgliedschaft eingefordert wird.

Wesentlich für den EWR wird sein, dass die bestehenden Mitgliedsstaaten die Anerkennung der vier Grundfreiheiten und den diskriminierungsfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt weiter stärken und ihr Selbstbestimmungsrecht aufrechterhalten. Der EWR steht seit Anbeginn für eine partnerschaftliche Alternative zu einer EU-Vollmitgliedschaft und bildet einen marktwirtschaftlichen Ausgleich. Über den EWR sind viele Rahmenbedingungen geregelt, die ansonsten in eigens auszuhandelnden, zwischenstaatlichen Verträgen und Abkommen definiert werden müssten. Deshalb bildet der EWR in vielerlei Hinsicht nicht nur für einen Kleinstaat wie Liechtenstein eine ressourcenschonende Alternative. Zudem können Bündnisse, die zugleich Partizipation und Autonomie zulassen, in einer multipolaren Welt wahrscheinlich vermehrt an Bedeutung gewinnen.

Die grösste Bedrohung für die Kontinuität des EWR wäre, wenn die bestehenden Mitgliedsstaaten oder Brüssel nicht mehr hinter dem Konzept des EWR – das sich durch seinen Subsidiaritäts- und differenzierten Integrationsgedanken auszeichnet – stünden. Dies zeichnet sich derzeit nicht ab.

Liechtensteins Bündnis mit der Schweiz
Am 29. März 2023 feierten Liechtenstein und die Schweiz das Bestehen des 100-jährigen Zollvertrages, mit dem sich 1923 beide Länder für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum aussprachen. Ausgangslage für dieses Bündnis war die Auflösung des österreichischen Kaiserreichs und in der Folge der Zerfall der österreichischen Wirtschaftskraft und die rasche Entwertung der österreichischen Krone. Liechtenstein war sowohl wirtschaftlich als auch politisch isoliert und hatte mit hoher Arbeitslosigkeit und Armut zu kämpfen. 1919 sah sich Liechtenstein deshalb gezwungen, die Verträge mit Österreich aufzulösen. Im selben Jahr wurden die Gespräche mit der Schweiz aufgenommen.

Auch hier waren die Widerstände für ein Bündnis mit der Schweiz zu Beginn gross, Verhandlungen gestalteten sich zäh und Liechtenstein wurde von der Schweiz auf Herz und Nieren geprüft. Die Befürchtung bestand, dass eine Aufnahme Liechtensteins in das schweizerische Zollgebiet sich auf die angrenzenden Nachbargebiete auswirken könnte. Sie verflüchtigte sich jedoch bald.

Der liechtensteinisch-schweizerische Zollvertrag bildete, gemeinsam mit anderen Weichenstellungen – etwa der Realisierung eines liberalen Personen- und Gesellschaftsrechts 1926, das die an den angelsächsischen Trust angelehnte Treuhänderschaft und die liechtensteinische Familienstiftung beinhaltet – und dem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzenden und sich rasch vollziehenden Wirtschaftswachstum in Europa, einen weiteren Meilenstein für Liechtensteins positive Wirtschaftsentwicklung.

Heute kann Liechtenstein auf ein freundschaftlich-konstruktives Bündnis mit der Schweiz blicken und an über hundert Abkommen der Schweiz teilhaben. Mit dem Schweizer Franken als Landeswährung kann Liechtenstein auf eine der stabilsten Währungen der Welt bauen. Wenn Sie mehr über den Zollvertrag und das Währungsabkommen erfahren möchten, dann empfehlen wir Ihnen den Besuch von www.zollvertrag.li

Fazit

Wie bei allen Verträgen resultieren aus der EWR-Mitgliedschaft und dem Bündnis mit der Schweiz neben Vorteilen und Rechten auch Pflichten. Liechtenstein ist sich diesem Erfordernis bewusst und trägt dafür Sorge, ein zuverlässiger und vertrauenswürdiger Partner sowohl für die europäische als auch die schweizerische Seite zu sein.

Dies unterstreicht die Stabilität Liechtensteins und bestärkt den Finanzplatz Liechtenstein in seinem Dienstleistungsangebot für international aufgestellte Familien und Unternehmer. Denn wirtschaftliche Stabilität, politische Zuverlässigkeit und innovative Weitsicht bilden grundlegende Pfeiler für langfristige
Vermögensschutzlösungen und eine auf Generationen ausgerichtete Vermögensverwaltung.

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